Unser Dorf Rixfeld
 

Die Kirmes

Das Kirchweihfest wird seit dem Mittelalter als religiöses Fest gefeiert. In jedem Fall war es ein jährlicher Gedenktag an die Kircheneinweihung. Die Kirmes, wie sie in späteren Jahren gefeiert wurde, hatte hier ihren Ursprung.
Im Jahr der Konfirmation, nachdem sie vollwertige Glieder der Kirchengemeinde waren, durften die Jugendliche zum ersten Mal die Kirmes „mithalten“.
Als Zeitpunkt für die Kirmes wurde der Herbst gewählt. Und das aus bestimmtem Grund.
Bis in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war die überwiegende Mehrheit der Dorfbevölkerung in der Landwirtschaft tätig und das ganze Jahr über musste hart gearbeitet werden.
Wenn der Sommer zu Ende ging kreisten die Gedanken, besonders der weiblichen Jugend, um das große Fest im Dorf, der Herbstkirmes. Zu diesem Anlass war es Tradition, dass fast jede junge Frau ein neues Kleid bekam. Viele kauften sich in früheren Jahren den Stoff und nähten ihr Tanzkleid („Kirmesekleid“) selbst. Später übernahmen diese Arbeit vielfach Schneiderinnen vor Ort. Ganz zuletzt kaufte man sie bei „Lufte“ * oder „Kimpel“ * in Lauterbach. (*Zwei Textilwarengeschäfte).
In Rixfeld gab es, soweit bekannt, immer die Saalkirmes. Bis kurz vor 1900 feierte man sogar in zwei Gaststätten, die Bauern im Saal der Gaststätte Weiß und die Arbeiter im Saal der Gaststätte Habermehl.


                                                                                             
    Kirmes 1905

Eingeläutet wurde die Kirmes mit der Versteigerung der Kirmesmädchen, dem so genannten „Verstrich". Meist geschah dies so acht Tage vorher. Nur die Kirmesburschen durften an diesem Prozedere teilnehmen. Aus ihren Reihen wurde als erstes ein „Komitee“ gebildet, welches für den Ablauf der Festtage verantwortlich zeichnete und die Versteigerung leitete. Ihm gehörten meist die älteren Burschen an. Es muss nicht extra erwähnt werden, dass bei einer solchen Zusammenkunft Bier und Schnaps reichlich durch die Kehlen floss.
Die Namen der ledigen Mädchen wurden aufgeschrieben und einzeln zur Versteigerung aufgerufen. Viele der jungen Männer hatten schon eine Auserwählte im Auge. Wenn bekannt war, dass zwei bereits heimlich ein Paar waren und er die Angebetete unbedingt ersteigern wollte, trieben in die Mitbieter im Preis oft recht hoch. Der Erlös der Versteigerung kam in die „Kirmesekass“, um die Unkosten für das Fest bestreiten zu können.
Mädchen, die keinen Burschen abbekommen hatten, kamen in den so genannten „Pferch“.
Am Tag vor der Kirmes, manchmal auch früher, gingen die Burschen bei Beginn der Dunkelheit in den Wald, um die „Kirmeseficht“ zu schlagen. Dies musste so heimlich wie möglich geschehen, obwohl dem Förster bekannt gewesen sein muss, was sich alljährlich um diese Zeit in seinem Revier abspielte. Anschließend wurde der Baum von den jungen Männern auf ihren Schultern ins Dorf getragen. In den letzten Jahren benutzte man als Transportmittel einen Wagen.
Der Baum wurde bis auf seine Spitze entastet, diese mit bunten Bändern geschmückt und vor dem Kirmeslokal aufgestellt. Es war keine leichte Arbeit. Mit Seilen und je zwei so genannten „Scheeren“ (zwei gekreuzte und zusammengebundene Stangen) wurde die Fichte in ein vorher ausgehobenes Loch gestellt, aufgerichtet und am Gebäude der Gaststätte befestigt. Nun konnte das Fest beginnen.
Vor dem Festlokal gab es kleine Schießbuden und Stände mit süßen Leckereien. Angeboten wurden in früheren Zeiten Lebkuchenherzen, Waffeln und Zuckersteine. Im Laufe der Jahre erweiterte sich das Sortiment. Besonders bei Einbruch der Dunkelheit wurden die Zucker- und Schießbuden noch einmal von Kindern und Jugendlichen bedrängt, um die letzten Pfennige an den „Mann“ zu bringen, bevor sie mit Beginn der Abendpause das Fest verlassen mussten.


                                                                                       Kirmesburschen von 1924

Am Samstagnachmittag gegen 2.00 Uhr trafen sich die Burschen beim Kirmeswirt. Beim „Komitee“ zahlten sie den bei der Versteigerung gebotenen Preis, kauften beim Wirt eine Flasche Wein und machten sich im Anzug mit Krawatte und einem Hut mit rotem Band auf den Weg zum Haus des Mädchens. Die Auserwählte revanchierte sich mit Kaffee und Kuchen. Aus der mitgebrachten Flasche wurde auf das bevorstehende Fest angestoßen.
Das Mädchen schenkte dem Burschen ein großes rot-weißes Zimmermannstuch und befestigte es mit einer Brosche im Knopfloch des Jacketts. Das Tuch wurde über der linken Schulter getragen.
So gegen 3.00 Uhr nachmittags gingen die Paare zum Kirmeslokal, wo bereits die für das Fest bestellten Musiker auf sie warteten. Nach dem 2. Weltkrieg war es meist die Kapelle Vollmöller aus Lauterbach, die für Stimmung sorgte.

                                                                  Der Kirmeszug formiert sich. (Ein Bild von 1949)

Die Reihenfolge der Pärchen bestimmte der gebotene Preis. Das Teuerste führte den Zug an. So war für die Zuschauer entlang des Weges gleich ersichtlich, für wen am meisten geboten worden war.
In früheren Jahren, so erzählte man mir, wurde sich nach dem Alter der jungen Männer aufgestellt. Die Kapelle bildete die Spitze des Zuges, gefolgt von dem ältesten Burschen, meist auch der „Kirmesewatz“

Mit Musikbegleitung zogen die jungen Pärchen in einem bunten Zug durch die Straßen des Ortes und wieder zurück zum Wirtshaus. Die Älteren in unserm Dorf erinnern sich sicher noch gut an die Zeit, als die Straßen unasphaltiert waren und die vielen landwirtschaftlichen Gespanne den herbstlichen Ackerdreck aus dem Feld mitbrachten und der „Knatsch“ oft knöchelhoch die Wege bedeckte. Aber für die Hausbesitzer war es selbstverständlich vor dem Umzug mit der „Kratz“ den „Knatsch“ von den Gassen zu beseitigten, damit die Tänzerinnen und Tänzer mit halbwegs sauberen Schuhen zum Saal kamen. 

Nach altem Brauch wurde der Kirmestanz mit den drei Pflichttänzen, die jeder Kirmesbursche mit seinem ersteigerten Mädchen tanzen musste, eröffnet. Danach durften alle anwesenden Kirmesbesucher das Tanzbein schwingen.
Zur Pause, gegen 18.00 Uhr ging man zum Abendessen nach Hause. Auswärtige Gäste nahm man mit, denn in der Gaststätte wurde früher noch kein Essen angeboten. Erst in den letzten Jahren waren es zunächst die Jungverheirateten, die in die Gaststätte Jöckel zum Essen gingen.
Um 20.00 Uhr setzte sich der fröhliche Reigen im Saal fort. Jetzt ging es erst so richtig los. Alt und Jung feierten ihre Kirmes. Die Musik spielte nach alter Väter Sitte jeweils drei Reigen (Tänze) hintereinander.
In den Pausen sang man die alten Lieder, die meist von den Männern des Gesangvereins angestimmt wurden. Der „Bismarck“ vom „Alten Eiffert“ oder Lufte Ernst gesungen, hat kaum ein Jahr gefehlt.
Da Singen bekanntlich Durst macht, versammelten sich die Sänger gerne an der Theke, wo sich schnell eine gesellige trinkfeste Gruppe bildete, die der Kapelle nicht selten zu schaffen machte. Oftmals standen die Musiker in Konkurrenz zu den Sängern, sehr zum Leidwesen der Tanzenden.
Ebenso feucht fröhlich ging es in den an den Saal angrenzenden Stübchen zu, wobei eins davon für die Kapelle reserviert war.
Um genügend Platz für alle bieten zu können, räumte die Familie Habermehl manchmal sogar ihre „Oberstube“ aus und stellte auch dort Tische und Bänke auf.
Das Bier wurde früher nicht in einzelnen Gläsern gezapft, sondern es wurden Reihum Literkrüge bestellt. Nicht selten kam es dabei vor, dass sich einer ganz schnell verdrückte, wenn er an der Reihe war.
Das frohe Treiben fand um Mitternacht ein vorübergehendes Ende, denn dann gab es nochmals eine Stunde Pause. In dieser Zeit nahm meist das Mädchen seinen Kirmesbursch mit nach Hause. Dort gab es dann Kirmeskuchen mit Kaffee, später auch Wurstebrot und Bier.

                                                                                       Gruppenfoto von 1959

Am Sonntagmorgen traf man sich wieder beim Festwirt. Kirmesburschen und Kapelle machten sich auf den Weg durch den Ort, um vor jedem Haus, wo es gewünscht war, aufzuspielen. Den Hausleuten wurde Hochprozentiges eingeschenkt und diese bedankten sich mit einem Obolus für das dargebrachte Ständchen. Vielmals konnte man sich eine bestimmte Melodie wünschen.
Abschluss war in der Gaststätte Jöckel. Hier wurde ausgiebig gefrühstückt, bevor es wieder in den Saal ging. Die erste Kirmes nach dem 2. Weltkrieg fand im Jahr 1948 statt. Getanzt wurden Walzer, langsamer Walzer, Polka und andere. Bei den Älteren waren immer noch Dreher und Schieber beliebt. Später kamen dann Tango, Fox, Foxtrott, Samba, Mambo, Boogie-Woogie, Rock'n Roll, Twist, Hula-Hupp und andere dazu. Vor dem Krieg wurde die Kirmes noch so richtig beerdigt und symbolisch bei der Linde an der Brücke begraben. Richtige Trauerreden wurden gehalten.
In den letzten Jahren wurde die Kirmes abgetrunken. Die Kirmesburschen trafen sich am kommenden Samstag beim „Kirmesewirt“ Karl Habermehl, um zunächst einen ersten Kassensturz zu machen. Man wollte ja wissen, ob die entstandenen Kosten durch den Versteigerungserlös gedeckt waren. Danach ging dann die Kirmes bei feuchtfröhlichem Gelage zu Ende. Mitte der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts ging die alte Tradition der Herbstkirmes in unserem Dorf zu Ende.
1984 unternahm die Jugend einen Versuch, den schönen Brauch der Kirmes wieder aufleben zu lassen. Einige Kirmesburschen kamen zusammen, um ihre Mädchen zu ersteigern und ihr Dorffest zu feiern. Aber die Zeit schien darüber hin gegangen zu sein.
Den allerletzten Versuch gab es 1995, aber es blieb dabei. Die Kirmes in Rixfeld gehörte der Vergangenheit an.