Das Brotbacken
Bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus wurde in unserem Dorf noch Brot und an den Wochenenden und zu Feiertagen Kuchen gebacken.
Als Triebmittel verwandte man Sauerteig. Vom letzten Backen wurde ein Rest des Teiges in einen irdenen Topf gegeben und im naturbelassenen Keller kühl gestellt. So ließ sich dieser leicht zwei, drei Wochen aufbewahren.
Backen war im Allgemeinen die Arbeit der Hausfrau. War wieder einmal Backen angesagt, wurde der Sauerteig „fortgemacht“, wie es in Mundart hieß. Den Gärungsprozess setzte man in Gang, indem man warmes Wasser hinzugab.
Am Abend vor dem eigentlichen Backen wurde „eingesäuert“. Je nach Anzahl der Laibe, die gebacken werden sollten, siebte meine Großmutter Anna, später meine Mutter Else, die Hälfte des benötigten Roggenmehls in den Backtrog und formte eine Mulde. Hinein kam der Sauerteig mit entsprechend Salz und gegebenenfalls Kümmel. Unter Beigabe von warmem Wasser mengte sie das Ganze so lange bis eine dickflüssige Masse entstand. Das Eingesäuerte begann zu „gehen“ und quoll auf. Dabei entstanden viele Aromastoffe, die für den typischen würzig säuerlichen Geschmack des Brotes sorgten.
Die Gärung war beendet, wenn sich die Masse wieder „setzte“. Dann begann der schwerste Teil der Arbeit. Meine Mutter gab die zweite Hälfte des Mehls hinzu und knetete das ganze so lange, bis ein fester Teig daraus wurde. Die richtige Bearbeitung des Brotteiges war Voraussetzung für ein gutes Brot. Nie vergaß sie mit der Handkante ein Kreuzzeichen in den Teig zu drücken, so wie es unsere Vorfahren schon immer gemacht haben.
Hier kommt mir ein Bild aus meiner Jugendzeit in Erinnerung: Meine Großmutter Anna stand hemdsärmelig, mit einem weißen Tuch mit dunkelblauen Punkten auf dem Kopf, über dem Backtrog gebeugt und knetete die zähe Masse. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn und sie bat mich: „Jung, botz mich emoal oab.“
Nach getaner Arbeit ließ man den Teig ca. eine ¾ Stunde „aufgehen“ und brachte ihn danach zum Backhaus.
Inzwischen kümmerte sich mein Vater Karl um das Anheizen des Backofens.
Buchenreisig, das beim Brennholzmachen aus den Kronen der Bäume als Nebenprodukt abfiel, bündelte man zu sogenannten „Rejserwelle“, die im Hof vor dem Haus ihren Platz zur Bevorratung fanden.
Vater fuhr mit einigem Brennmaterial zum Backhaus, legte es in die Ofenkammer und entzündete es. Er wartete, bis es zu glühender Holzkohle verbrannte und den Ofen aufheizte.
Danach wurde der vorbreitete Brotteig zum Backhaus gefahren. Mutter hob das Brot portionsweise aus, formte es zu runden Laiben, setzte diese auf eine lange Backtafel, die zuvor leicht mit Mehl bestreut worden war und bestrich es mit Wasser.
Dies geschah in einem Nebenraum, da es im Backraum zeitweise ziemlich staubte. Denn nachdem das Holz verbrannt und die richtige Wärme erreicht war, fegte man mit dem „Kest“ die Asche und die restliche Holzkohle aus dem Ofen.
Die richtige Backtemperatur erkannte man daran, wenn sich die Steine im Gewölbe weiß gefärbten hatten. Rechts neben der Ofenöffnung gab es im Mauerwerk einen Durchlass, in dem das „Speefejer“ (Späne) brannte, um während des Backvorgangs etwas Helligkeit im Ofenraum zu haben.
Für die folgende Arbeit musste man zu zweit sein.
Mutter, die die vorgeformten Laibe einzeln noch einmal kurz seitlich in Mehl rollte und auf den „Schesser“ setzte, der von Vater in die Durchreiche gehalten wurde. Laib für Laib fand seinen Platzt im heißen Ofen.
Nach einer viertel Stunde nahm man die Brote noch einmal aus dem Ofen und bestrich sie mit Wasser, um so eine dunkle glänzende Kruste zu erhalten. Wir Kinder wünschten uns oft ein „Äppelläbche“. Es war ein kleines Brot, in dessen Mitte ein Apfel mit gebacken wurde. In meinen Gedanken ist es heute noch eine Köstlichkeit.
Wenn die Reste aus dem Backtrog gekratzt wurden, formte man daraus das „Kratzläbche“. Es wird vermutet, dass dieser Brauch noch aus heidnischer Zeit stammt und ursprünglich eine Opfergabe an die Germanengöttin Freya sein sollte.
Nach einer Backzeit von einer weiteren Stunde nahm man das frische Brot aus dem Ofen und brachte es nach Hause. Gelagert wurde es im kühlen Keller, mit Lehmboden, auf einer „Brothänk“. Das war ein Gestell aus zwei senkrechten Seitenbrettern verbunden mit je zwei parallel angeordneten Rundhölzern, auf die man das Brot legte. Das Gestell war mit Drähten an der Decke befestigt und auf dies Weise mäusesicher.
Bis in die Siebziger Jahren wurde im Gemeindebackhaus vereinzelt noch gebacken. Meine Eltern, Karl und Else Luft, geb. Eiffert waren die Letzten, die diese alte Tradition bis 1975 pflegten. Danach wurde das Gebäude wegen Straßenverbreiterung abgerissen.
Da das Brotbacken sehr zeitaufwendig war, kam die Hausfrau an diesem Tag meist nicht zum Kochen. Stattdessen gab es den traditionellen Salzekuchen, der heute noch als Vogelsberger Spezialität in vielen Bäckereien angeboten wird.
Brotteig wurde auf einem großen, meist runden Blech ausgerollt. Als Belag wurde eine Mischung aus gekochten Kartoffeln, ausgelassenem Speck, Öl, Zwiebeln, Eier, Quark, Milch, Rahm, Salz und Petersilie aufgetragen, den man auch „Schmierschel“ nannte.
Der frisch gebackene Salzekuchen wurde oft schon im Backhaus angeschnitten, probiert und der Rest nach Haue getragen. Warm verzehrt ersetzte er das Mittagessen. Dazu trank man Kaffee. In der Zeit während und nach dem zweiten Weltkrieg war es meist nur „Muckefug“, ein Kaffeeersatz aus Getreide. Für die Erwachsenen durfte ein einheimischer Kümmel nicht fehlen. Es hält sich hartnäckig das Gerücht, er würde bei der Verdauung der schweren Kost helfen.